„Ein Zittern zwischen den Zeilen der Nationalsprachen“: (Un)übersetzbarkeit und Resilienz in Uljana Wolfs falsche freunde (2009)
Beatrice Occhini
2020-01-01
Abstract
In der Krisenkonjunktur der Gegenwart lassen sich Translationsprozesse als deutungsvoller Interpretationsschlüssel verstehen. Innerhalb der postmigrantischen Gesellschaft (Yildiz/Hill 2015) erweist sich das Übersetzen als eine dialogisch produktive Praxis, die der globalen Austauschbeziehungen ermöglicht (Bachmann-Medick 2012: 23). Gleichzeitig gilt es im postnationalen Zeitalter (Habermas 1998, Chandler 2014: 109) als Grundlage von transnationalen Projekten, die sich an transkulturellen Gesellschaftsmodellen orientieren (z.B. die Übersetzung als verbindendes Element in der EU-Sprachpolitik). Allerdings zeigt das Übersetzen als Kommunikationsform der globalisierten Gegenwart einen Januskopf (Bassnet 1993: 153): Hinter dem Standpunkt der «translatability assumption» verbirgt sich die Gefahr der kulturellen Homologation (Apter 2013: 3). Dabei werden Translationsprozesse zu «ready meaning-exchange», die im Endeffekt kulturelle, sprachliche und literarische Vielfalt auslöschen (Apter 2013: 93). Im deutschsprachigen Raum findet die Problematisierung dieses scheinbaren Paradoxes in Autorinnen wie Emine Sevgi Özdamar, Tawada Yoko, Ilma Rakusa, Terézia Mora Ausdruck, deren Dichtung das kulturelle Übersetzen als zentrale Schreibmodalität zugrundeliegt. Bei eingehender Analyse wird jedoch erkenntlich, dass eben diese Schreibmodalität gleichzeitig eine Reflektion der Unübersetzbarkeit von Identitäten, Gedächtnis und Geschichten – thematisch wie formell – liefert. Dieser Aufsatz konzentriert sich auf Uljana Wolfs Lyrikband meine schönste lengevitsch (2013): Im Werk dieser Autorin, die das literarische Schreiben mit ihrer Tätigkeit als literarische Übersetzerin konstitutiv verbindet, besitzt das Thema der (Un)übersetzbarkeit eine eminente Signifikanz. Ziel des Beitrags ist es zu zeichnen, inwiefern sich die literarischen (Un)übersetzbarkeitsstrategien Wolfs als eine zeitgenössische Form kulturpolitischen Engagements erweist, die durch das Konzept von Resilienz produktiv erläutert werden kann. Resilienz wird hier als ein produktiver kulturgesellschaftlicher Umgang mit unstabilen Krisenzuständen und mit Katastrophen. Durch resiliente Strategien werden konstitutive Aspekte der prekären und kritischen Zustände in neue kulturelle Widerstandspraktiken umgewandelt (Chandler 2014; Grove 2018; Bassler 2019). Wolfs Gedichtsammelband meine schönste lengevitsch (2013) profiliert sich aus Kommunikationsmissverständnissen, aphasischen Störungen, Translationsproblemen und –Fehler, die der Krise der postmigrantischen und postnationalen Gesellschaft widerspiegeln. In ihrer Dichtung wandeln sich diese scheinbaren Hürde in ein translinguales, babelisches Schreibverfahren um, welches in der Mischung von Englisch und Deutsch zur Äußerungskode der transkulturellen Gesellschaft wird. Im diesen Spannungsfeld zwischen Übersetzbarkeit und Unübersetzbarkeit offenbaren Translationsprozesse ihr Resilienz-Potential als «a medium especially liable to reveal cultural differences, power imbalances, and the scope for action» (Bachmann-Medick 2012: 23).File in questo prodotto:
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